Das undankbare Leben eines Fallrohrs
Ich lebe seit vielen Jahrzehnten im Verborgenen, in einem nicht näher zu benennenden Wohngebäude der WOBAG Schwedt. Die meisten wollen nichts von mir wissen, aber wenn ich nicht da wäre oder nicht richtig funktioniere, würde es mächtig zu stinken anfangen. Ich bin ein Toilettenabflussrohr, im Volksmund auch Fallrohr genannt und wohne über alle Etagen meines Wohngebäudes. Darauf bin ich mächtig stolz. Lange habe ich überlegt, ob ich mich an die Öffentlichkeit wende. Das ist eigentlich nicht meine Art. Ich funktioniere lieber im Stillen vor mich hin und transportiere zuverlässig die Fäkalien, die die Bewohner meines Hauses in mich hineinspülen, dorthin, wo sie hingehören, nämlich ins Klärwerk. Aber mein Leidensdruck ist mittlerweile so groß geworden, dass mir nichts anderes übrigbleibt, als auf mich aufmerksam zu machen. Denn die Bewohner meines Hauses haben es offensichtlich darauf abgesehen, mich zu zerstören.
Dass die wilde Mathilde – sie heißt anders, aber ich nenne sie so – aus dem fünften Stock ständig die benutzten Kondome nach ihren Liebesabenteuern in mich hineinwirft, ist zwar nicht in Ordnung, aber das kann ich ja gerade noch verstehen. Schließlich soll ihr Ehemann nichts von ihren Liebschaften mitbekommen. Dass aber die Leute in der Wohnung nebenan nur einmal am Tag die Klospülung betätigen, weil sie Wasser sparen wollen, ist schlichtweg eine Katastrophe. Mir ist es ja egal, wie sehr es bei ihnen im Bad stinkt, dass aber der dicke Brei, der sich, wenn sie dann doch mal auf die Spültaste drücken, in mich hinunterquält, an meinen Wänden haften bleibt, bereitet mir unsägliche Schmerzen. Und in der Wohnung drunter sind die Bewohner offensichtlich der Meinung, dass sämtliche Essensreste, die bei ihnen nach den Mahlzeiten übrigbleiben, in die Toilette gehören. Auch das bleibt an meinen Wänden kleben, sodass ich immer dünner werde und es mir immer schwerer fällt, all das abzutransportieren, was ja wirklich – und da sind wir uns sicher alle einig – weg muss. Liebe Leute, Essensreste gehören allenfalls in verdauter Form ins Klo!
Das Gleiche gilt übrigens auch für alle Hygieneartikel, die nicht wenige meiner Bewohnerinnen – aus Bequemlichkeit, vermute ich – in meinen Schlund werfen: Slipeinlagen, Tampons und so weiter. Auch das bereitet mir Schmerzen. Ganz zu schweigen von den Feuchttüchern, mit denen sie ihren Toilettengang final krönen. Denn Feuchttücher zersetzen sich nur sehr schwer, sie fädeln sich zusammen zu riesenlangen Schlangen und drohen, mich final zu verstopfen! Und wenn es dann so weit ist, dass ich das Handtuch werfen muss und nichts mehr geht, ja dann ist die Kacke im wahrsten Sinne des Wortes am Dampfen! Dann setzt großes Jammern und Wehklagen ein und die Techniker müssen kommen und mich wieder freiputzen! So weit muss es doch nicht kommen!
Wenn ich mir was wünschen dürfte, dann wäre es ein wenig mehr Achtsamkeit im Umgang mit mir:
Nach jedem Toilettengang ausreichend spülen! Nach dem kleinen Geschäft muss mindestens die kleine Taste gedrückt werden, um den Geruchsverschluss keimfrei zu halten. Nach dem großen Geschäft sollte der gesamte Inhalt des Spülkastens (große Taste) in mich hineinfließen, um einen guten Abfluss zu gewährleisten. Und ganz wichtig: Hygieneartikel, also Slipeinlagen, Tampons, Feuchttücher usw. gehören in den Abfallbehälter, der in jedem Bad neben der Toilette stehen sollte. Was die Essensreste betrifft, habe ich meine Meinung ja schon kundgetan. Ach ja, und die Sache mit den Kondomen. Es wäre schon schön, wenn die wilde Mathilde eine andere Lösung fände, sie zu entsorgen. Vielleicht einfach einmal mehr den Mülleimer runterbringen, ehe der Gatte nach Hause kommt.
Text: Matthias Bruck